Wieviel Wahrheit steckt in unserer Sprache?

Eine kürzliche Unterhaltung hat mich zu diesem Artikel inspiriert. Die folgenden Zeilen dienen als Gedankenanstoß zur Auseinandersetzung mit ein paar der Punkte, die sich aufgrunddessen in meinem Kopf breit gemacht haben. Des Weiteren hängt es oftmals davon ab, mit welcher Perspektive bzw. ausgehend von welcher Teildisziplin der Forschung man gewisse Sachverhalte betrachtet. Ich biete hier einen Anstoß zu diesen Gedanken, die sich viel mit der Bedeutung und Auslegung von einzelnen Wörtern in ihrer Anwendung beschäftigen, was man anschließend gemäß der jeweiligen Disziplinen weiter vertiefen kann. Auch definiere ich einige der in diesem Zusammenhang wichtigen Begriffe im Umgang mit sprachlichen Systemen.

Zusammenhänge bei der Bedeutung von Wörtern

Ist ein Wort richtig oder falsch in seiner Bedeutung oder muss dies immer auch im jeweiligen Zusammenhang betrachtet werden? Je nach Zusammenhang und Kombination können Wörter unterschiedliche Bedeutungen haben. Hierbei wird oft auch von Kollokationen gesprochen (von englisch collocation), was das benachbarte Auftreten von Wörtern bezeichnet, also in welchen Stellungen Wörter zusammen vorkommen. Dies hat mit der Bedeutung von Wörtern zu tun, aber auch mit Verwendungen, die sich als Stereotype entwickelt haben. In mehr bildlichem oder literarischem Sprachgebrauch kann dies natürlich gestreckt werden.

Sind Bedeutungen „binär“?

Wie wichtig ist die „richtige“ oder „falsche“ Bedeutung eines Wortes? Wie „binär“ sind solche Kollokationen? Ergibt eine andere Kombination von zusammengehörenden Teilen eine „0“ oder „1“-Aussage? Sind Bedeutungen in bestimmten Wortkonstellationen eindeutig? Wörter sind Gegenstand von Kommunikation und kommen immer in diversen Zusammenhängen vor, ohne die sie relativ leer und bedeutungslos wären. Folglich steckt nicht viel Wahrheit in einzelnen Wörtern, sondern diese kommt immer erst im Zusammenhang und Kontext der gesamten Situation zustande. Folglich sollte man sich vielleicht nicht so sehr an einzelnen Worten aufhängen.

Was ist eigentlich diese „Wahrheit“?

Wenn man vom Wahrheitsgehalt unseres Gesagten oder anderwärtig Ausgedrückten spricht, stellt sich freilich die Frage, was denn Wahrheit überhaupt ist bzw. sein kann. Wahrheit wird oftmals als etwas charakterisiert, das mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wirklichkeiten sind jedoch durchwegs subjektiv, wenn man dem österreichischen Kommunikationsforscher und Psychotherapeuten Paul Watzlawick Glauben schenkt. Vielmehr ist Wirklichkeit in seinen Augen ein Resultat von Kommunikation, wie er in einem seiner Bücher „Wie Wirklich Ist Die Wirklichkeit“ schildert. So gesehen liegt viel Wahrheitsgehalt in sprachlichem Austausch, unabhängig von der Bedeutung einzelner Wörter.

Sprache als Kommunikationsmittel vs. mathematische oder formale Sprache

Zweitere hat mehr „geradlinigen Wahrheitsanspruch“ in dem Sinne, dass gewisse logische Formulierungen und mathematische Sätze eindeutige Resultate bedeuten. Die Unterscheidung zwischen einer formalen Sprache (zB Mathematik oder Programmiersprachen) vs. Einer natürlichen Sprache (vom Menschen herausgebildete Sprache) ist ausschlaggebend.

Sprache als Kommunikation hat zwar grammatische Regeln, denen sie folgen muss, um als richtig aufgefasst zu werden, diese können sich jedoch leicht verändern. Ein mathematischer Satz ist jedoch stets der gleiche und daher eine „Wahrheit“. Auch Programmieren fällt hier herein. Diese exakten Sprachen bieten keinen Interpretationsspielraum. In menschlicher Kommunikation dagegen können Aussagen auf verschiedene Weisen ausgelegt werden. Sie enthalten vielleicht gewisse Elemente, die sehr eindeutig sind, aber auch gewisse Zusätze, wie etwa Attribute, welche die Bedeutung verändern, abschwächen etc. Können. Satzzeichen können zudem die Genauigkeit von Aussagen erhöhen.

Mathematik für mehr Deutlichkeit in der menschlichen Sprache?

Generell gibt es also keine „einzelne“ oder absolute Wahrheit in Kommunikation. Warum tauchen sonst so viele Missverständnisse auf, wenn wir uns in gesprochener oder geschriebener Sprache ausdrücken? Text in zwischenmenschlicher Kommunikation enthält nicht dieselbe mathematische Genauigkeit. Vielleicht sollten wir in mathematischen Formeln miteinander kommunizieren, damit 0 tatsächlich 0 und 1 tatsächlich 1 ist und auch so ausgelegt wird. Entscheidend ist, dass das Gesagte oder Geschriebene genauso decodiert wird, wie es eingegeben wird. Wäre dies so schwierig?

Einiges in der sprachwissenschaftlichen Analyse mutet ein wenig mathematisch an, die Überlegung, in der menschlichen Kommunikation in mancher Hinsicht auf Elemente der Mathematik zurückzugreifen, ist also nicht nicht weit hergeholt. Dennoch gestaltet es sich einfacher, mathematische Systeme und Computer in die kognitive Richtung zu trimmen, als zu versuchen, menschlichen Wesen ihr Interpretationsvermögen auf 0 und 1 zu reduzieren.

Was in Kommunikation zwischen Individuen noch hinzu kommt, ist die Lautebene. Wie Wörter ausgesprochen oder betont werden, fügt der Bedeutung von Worten, Phrasen oder Sätzen eine zusätzliche Ebene hinzu. Dies könnte man mathematisch ausdrücken mit gewisse symbolischen Zusätzen. Anschließend kommen auch noch viele andere non-verbale Elemente hinzu, wie Mimik, Gestik oder Körperhaltung zueinander, was bedeutend schwieriger mit mathematischer Symbolik auszudrücken wäre.

Wichtige Begriffe im Zusammenhang mit Forschung rund um Sprache und sprachlichen Ausdruck

Ein paar der verwendeten oder benachbarten Begriffe würde ich gerne ein wenig genauer unter die Lupe nehmen:

Sprachwissenschaft
Sie setzt sich mit der menschlichen Sprache hinsichtlich deren Bestandteilen, Bedeutung, Herkunft, Verwendung und der Forschung auf den unterschiedlichen Gebieten auseinander.

Linguistik
Synonym zu Sprachwissenschaft.

Semiotik
Die Lehre von den Zeichen. Zeichen werden oftmals als Besonderheit von Sprachen angesehen. Einerseits kann die Semiotik als Teilgebiet der Sprachwissenschaft verstanden werden, oder aber auch genau umgekehrt die Sprachwissenschaft als Unterdisziplin der Semiotik.

Semantik
Die Lehre von der Bedeutung von sprachlichen Zeichen. Ein Teilgebiet der Semiotik.

Etymologie
Die Lehre von der Entstehung und Herkunft von Wörtern.

Grammatik
Das Regelwerk einer Sprache, demgemäß sie aufgebaut ist.

Syntax
Regelwerk, wie in einer Sprache aus Wörtern Sätze gebildet werden.

Morphologie
Lehre von der Bildung von Worten in ihren einzelnen Bestandteilen und deren Struktur. Das Morphem gilt als die kleinste Einheit, das Wort als die größte in der Morphologie.

Kommunikation
Einfach formuliert, die Verständigung von mehreren Einheiten (etwa Individuen oder Maschinen) mittels Zeichen oder Sprache. Übermittlung von Nachrichten zwischen einem Sender und einem Empfänger.

Kognition
Die Kognition beschäftigt sich mit der Verarbeitung von Informationen und welche Rolle mentale Prozesse dabei spielen.

Kognitive Linguistik
Sie beschäftigt sich mit mentalen Prozessen und deren Einfluss auf die Verwendung und den Erwerb von Sprache.

Mathematische Sprache
Eine formale Sprache; hier steht die mathematische Verwendung und Formalität im Vordergrund. Natürliche Sprachen (vom Menschen gesprochene Sprachen) können mittels formaler Sprachen ausgedrückt werden. Formale/mathematische Sprachen beinhalten oft nur eine Ebene, wohingegen natürliche Sprachen auch die Lautebene, morphologische Ebene, Syntax etc. Zwar spricht man bei formalen Sprachen auch von der Syntax, meint damit jedoch den Bau der Wörter. Die Bedeutung der Wörter einer formalen Sprache muss formal definiert werden, wohingegen sie bei einer natürlichen Sprache auf natürlichem Wege aufkommt.

Abschließend – Muss man in Sprache überhaupt eine absolute Wahrheit anstreben?

Wann ist die Decodierung in binär „0“ oder „1“ erstrebenswert?

Teilwahrheiten bzw. „richtig“ oder „falsch“, oder „0“ oder „1“ in den einzelnen Bestandteilen, Zusammensetzung dieser Bestandteile jedoch individuell

Gemäß den oben definierten Teildisziplinen kann an die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Sprache von unterschiedlichen Perspektiven herangegangen werden, und man würde auch zu unterschiedlichen Rückschlüssen kommen. Gewisse sprachliche Systeme beinhalten einen eindeutigeren Wahrheitsgehalt als andere, und je weniger Ebenen ein sprachlicher Ausdruck aufweist, desto eindeutiger kann dessen Wahrheitsgehalt definiert werden. Daher fällt dies in zwischenmenschlicher Kommunikation schwer, da zusätzlich zu den sprachlichen Zeichen noch andere Werte wie Kultur, Erfahrung der Kommunizierenden, kognitive Prozesse oder non-verbale Elemente hinzukommen, die nicht so eindeutig von vornherein definiert werden können.

„Verschränkte Arme“ bedeuten nicht „0“ und eine „offene Körperhaltung“ bedeutet nicht „1“. Könnten wir sämtliche Elemente so definieren, gäbe es natürlich deutlich weniger Missverständnisse. Doch müssten wir auch die mentale Komponente des Menschen streichen, um eine solch geradlinige Auslegung bewerkstelligen zu können.

Eine wichtige Komponente der Kommunikation, die persönliche Auslegung, würde auf diese Weise jedoch vernachlässigt werden und der Unterhaltung einen speziellen Reiz entziehen. Der Ausdruck von absoluter Wahrheit ist vielleicht nicht immer der hauptsächliche Gegenstand der Sprache, mittels derer Individuen Kommunikation betreiben, da alle Beteiligten ohnehin ihre eigenen Wahrheiten besitzen, die vermutlich nur selten deckungsgleich sind. Wahrheiten oder Wirklichkeiten sind schlussendlich subjektiv – um noch einmal auf Watzlawicks These zurückzukommen – und die Jagd nach der absoluten Wahrheit oder eindeutigen Bedeutung wäre demgemäß gar nicht erst notwendig.

Wissenschaft rund um Sprachstrukturen und Bedeutung einzelner Sprachteile, und Philosophie rund um den Grad des Wahrheitsgehaltes müssen in dieser Hinsicht vielleicht etwas mehr separat betrachtet werden. Sprachforschung kann gewisse Teilwahrheiten in den einzelnen Bestandteilen der Sprache sehen, wie diese anschließend zu einer Gesamtheit zusamengefügt werden, obliegt jedoch jedem Individ selbst.


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